Bordeaux 2016

Groß - aber wie groß?

 

Wie immer im November lud der große Bordeauxhändler Franz Keller zur Primeursprobe. Um es vorweg zu nehmen: Der Jahrgang 2016 ist im Bordelais ähnlich gut wie der 2015er, vielleicht etwas trinkfreudiger.

 

 

Wir begannen mit dem südlichen Bordeaux. Aus Fronsac kam Fontenil (22,50 €), der mit viel schwarzer Johannisbeere aufwartete, dunkel und tintig war, im Mund könnte er vielleicht etwas mehr zeigen. Die folgenden Weine kommen aus Pessac-Léognan und sind typischerweise mit Eleganz geadelt. Leider gab es nur zwei Rote und zwei Weiße zu probieren: Der weiße Rahoul (15,50 €) duftete nach Nuss und Noten aus der Spontanvergärung, zeigte gute Dichte. Das rote Pendant vom gleichen Weingut (15 €) offenbarte Noten von Teer und Blut, ja war regelrecht zart und verfügte über gute Säure. Der weiße La Garde (22 €) war noch verschlossen, präsentierte sich aber als klar und mineralisch. Der rote La Garde (23,50 €) verfügte über eine tiefe Nase nach Eisen und Bambussprossen. Als einziger Vertreter aus dem Sauternes war der Süßwein Doisy Vedrines (37 €) angetreten: Er überzeugte mit einer herrlichen Aprikosennase, war dicht, scheinbar ohne Holz vinifiziert, aber auch von extremer Süße.

 

 

 

Nun kommen die Weine vom rechten Ufer, Vertreter, die typischerweise viel Fleisch zeigen: Les Hauts Conseillants (17,50 €) stammt aus Lalande de Pomerol, zeigte sich noch verschlossen, duftete nach Butterkeks, faszinierte durch zarte, blumige Frucht. Die nächsten drei Weine kommen aus Pomerol, der Heimat von Pétrus: La Croix du Casse (30 €) roch dezent nach Teer, war ausgesprochen elegant mit ganz zarter Frucht und samtenen Tanninen. Typisch für die Appellation, nämlich ganz auf der pflaumig-pfeffrigen Seite, war der Clos du Clocher (54 €), bei dem man außerdem Butterkeks in der Nase wiederfinden konnte und der von toller Mineralität und persistenten Tanninen getragen wurde. Eine ganz andere Hausnummer, sowohl preislich als auch qualitativ, war La Conseillante (235 €); dieser überzeugte durch seine hohe Eleganz, eine zarte Nase nach Holunderbeeren, Cassis und leichtem Teer. Aus St. Emilion stammen die folgenden vier Weine: Grand Pey Lescours (15 €) präsentierte sich sehr offen, ja einladend, offenbarte viel rote Johannisbeere mit einer leicht blumigen Note. Auch Brun (16,50 €) war einfach nur köstlich mit roter und schwarzer Johannisbeere. Grand Barrail Lamarzelle Figeac (22,50 €) – was für ein Name! – war seinerseits eher tintig wie die Pessacs, doch mit etwas Veilchen und leichtem Pfefferton wieder typisch rechtes Ufer. Sansonnet (36 €), von dem am Vortag eine überzeugende Vertikale zu verkosten war, konnte man nur als pflaumig und edel beschreiben.

 

 

 

Obwohl es in diesem Artikel eher um die Primeurs geht, soll keineswegs die Vertikale von Pape Clément verschwiegen werden, die es zu probieren gab: Der noch verschlossene weiße 2016er (161 €) zeigte feine Birne, drastische Säure sowie eine gute Mineralität, schien mir aber preislich etwas zu hoch angesetzt. Der rote 2016er (98 €) ging mehr in die tintige Richtung und offenbarte eine schöne Veilchennote. Mein Favorit war der 2012er (97 €): Feinheit ohne Ende, zart, die Flügel ausbreitend. Auch der 2007er (143 €), obwohl eher von fülliger Statur, war umwerfend, überzeugte mit toller rauchiger Aromatik und besaß im Mund eine schöne Struktur. Der 2006er (138 €) überzeugte mit sehr tiefer Frucht von schwarzen Johannisbeeren und einer zarten Teerader, ja war insgesamt als stoffig zu beschreiben.

 

 

 

Nun kam das linke Ufer, mein heimlicher Liebling:

 

 

 

Erst einmal das Médoc: Fourcas Dupré (14,50 €) war sehr fruchtig, ja etwas zu vordergründig. Lanessan (15 €) überzeugte mit schöner Mineralität und mürber Frucht. Diesem sehr ähnlich, vielleicht mit mehr Struktur, war Roque de By (13 €). Über Noten von Blut verfügte Tour de By (17,50 €), dieser war insgesamt elegant, ja durchaus von wilder Aromatik. Darauf folgten fünf nur als hervorragend zu beschreibende Weine: Zuerst Belgrave (29 €), mit ganz feiner Frucht gesegnet, zart, fast zerbrechlich, im Mund vielleicht nicht ganz so stark. Auch Poujeaux (33,50 €) verfügte über feine Frucht, war samtig, offenbarte in der Nase feine Kräuter und Mokka, war im Mund nachverlangend. Mein persönlicher Favorit aus dieser Serie war – wie letztes Jahr – Cantemerle (35 €, 94-95 Sucklingpunkte), ganz unüblich für Rotweine, aber nur in den raren Spitzenweinen zu finden, war seine herrlich tiefe Pfirsichader, dazu kam eine tolle Struktur bei nur mittelschwerem Körper. Auch nicht von schlechten Eltern war Chasse Spleen (33,50 €), der mit feiner weißer Frucht strahlte, ja schwerelos wirkte. Demgegenüber hob sich Sociando Mallet (41,50 €) ab, welcher über ein überraschend warmes Bouquet verfügte, mit Blaubeeren und Lakritze in der Nase eher auf der tintigen Seite, blieb er etwas hinter den Erwartungen zurück – wie gesagt: Cantemerle und Chasse Spleen wären da die bessere, ja auch günstigere Alternative.

 

 

 

Verzaubert wurde ich von den Margaux, die sich – wie man dieser Appellation nachsagt – ganz aristokratisch-elegant präsentierten: Labegorce (31 €) war nur als edel zu beschreiben, verfügte über eine sehr feine Pfeffer-Kräuter-Aromatik. Ferrière (46,50 €) war, als hätte man an einer Eisenstange geschnüffelt, zeigte aber auch zartes Cassis, ja war samtig. Für mich in den Rang der Superseconds bzw. -thirds aufgestiegen waren die folgenden drei Weine: Durfort Vivens (61,50 €) duftete herrlich nach roten Johannisbeeren, Eisen, Majoran und faszinierender Brombeere. Ätherischer war St. Exupéry Malescot (64 €), der sehr fein nach Haselnuss-Nougat, Mokka, und leichtem Tabak roch und zartbittere Tannine zeigte – hier war ich ganz auf der Linie von James Suckling, der diesem Wein 98-99 Punkte gab. Schon immer einer der Stars der Appellation, dieses Jahr wieder berechtigterweise, war Brane Cantenac (80 €), ein herrlich schwebender Wein mit ganz zarter Cassisnote, absolut edel mit nachverlangenden Tanninen.

 

 

 

Aus St. Julien, immer auf dem Mittelweg zwischen Eleganz und Kraft, gab es diesmal nur zwei Weine zu probieren: Saint Pierre (71 €) verfügte über ein leicht pflanzliches Aroma, etwa nach Hustensaft und Lakritze. Dem gegenüber offenbarte Beychevelle animalische Brombeerfrucht.

 

 

 

Dann war St. Estèphe an der Reihe, mit Weinen, denen man bei aller Bordeauxeleganz ein interessantes Stück Würze nachsagt: Capbern (22,50 €) war sehr duftig, wartete mit leichten Pfirsichnoten auf. Le Bosq (25 €) offenbarte Noten von brauner Erde und Trüffel, präsentierte sich samtig. Marquis de Calon (29 €), Zweitwein von Calon Ségur, überzeugte mit einer herrlichen Aprikosennote und Noten von Kaffee, ja war ausladend. Lafon Rochet (53 €) war schön verwoben und leicht vegetabil im Mund. Etwas enttäuscht war ich von Calon Ségur, der sich ein Deut zu tintig zeigte.

 

 

 

Die Königsdisziplin unter den Bordeauxweinen ist der Appellation Pauillac vorbehalten – hierher kommen nicht nur drei Premier Crus, nein, das gesamte Gebiet ist bekannt für zugleich vornehme wie kräftige Weine. Pedesclaux (51 €) zeichnete sich durch herrliche Frucht von Holunderbeeren aus, dazu kamen Veilchen sowie ein insgesamt sehr feiner Charakter. Der Wein des Jahrgangs – und dies überrascht etwas bei seinem günstig kalkuliertem Preis – ist für mich Batailley (53 €): Er hebt sich einfach vom Rest ab, ja ist – paradoxerweise – ausgesprochen burgundisch-erdig, man nimmt Noten von getrockneten Kräutern (vor allem Rosmarin) sowie von Streichhölzern und Kaffee wahr, auch ist der Wein ausgesprochen rauchig. Auf Augenhöhe, aber auch deutlich teurer, ist Pichon Longueville Baron (177 €); er ist herrlich aromatisch-rauchig, duftet nach Zigarrenkiste, verfügt über tolle Frucht, ja ist dunkel-animalisch. Letztes Jahr noch Primus inter pares, ist Pichon Comtesse de Lalande (188 €) diesmal nur dritter Sieger, dies ändert nichts daran, dass der Wein sehr dicht und sehr elegant ist, ja man merkt, dass er in einer anderen Liga spielt – nur diesmal nicht als Tabellenführer.

 

 

 

Obwohl es sich „nur“ um Fassproben handelte, waren alle Weine schon überraschend präsent: Dies scheint ein allgemeiner Trend zu sein, dass die Weine nämlich derart vinifiziert werden, dass sie möglichst früh trinkreif sind. Dies sollte den klassischen Bordeauxtrinker, der jahrelang (jahrzehntelang?) auf die perfekte Reife wartet, nicht abschrecken, denn die Weine sind ebenfalls zu einem langen Leben fähig. Gibt es nun das legendäre Zwillingspaar 2015/2016 nach 2009/2010? Ich bin etwas skeptisch, vielmehr liegen die besten Weine Jahr ein Jahr aus auf einem sehr hohen Niveau.