Marcel Deiss

Terroir zu Ende gedacht

 

Just zu Himmelfahrt (Fahrt zum Weinhimmel?) veranstaltete das elsässer Weingut Marcel Deiss eine Wanderung durch seine Rebberge und einen Tag der offenen Tür. Verkostet wurden folgende Weine: Der Alsace blanc (14 €) – bis auf die edelsüßen Weine verzichtet das Weingut auf Rebsortenangaben, denn alles ist gemischt gepflanzt – punktet mit viel Zitrusfrucht, etwas Wachs, gibt sich riesling-affin, kommt leicht staubig herüber, im Mund offenbart sich dann beträchtliches Volumen. Die Dorfappellation Berckem (21 €, junge Reben aus dem Altenberg) zeigt Mirabelle, Orange und weiße Blüten, ist ausgesprochen komplex, hat etwas Restzucker, präsentiert sich sehr stimmig.

 

 

Dann folgten die Crus: Der 2016er Burlenberg (40 €) ist ein Verschnitt aus Pinot noir und Beurot, er gibt sich mit zarter Blütennase, etwas staubig mit viel roten Beeren und etwas Blut, ist gesetzt und deutlich pinot-getrieben. Mit ausdrucksstarkem Pfirsich, Mirabelle und Rosenblättern glänzt der 2016er Langenberg (29 €). Er ist darüber hinaus frisch, nachverlangend mit strukturgebender Säure. Viel mineralischer ist dagegen der 2016er Engelgarten (29 €), leicht animalisch mit Noten von ranziger Nuss – aber nicht negativ – eher bäuerlich, sehr geradeaus, hat mehr Restzucker als der Vorgänger, zum Schluss Noten von Rose, insgesamt verfügt der Wein über tollen Ausdruck. Auch der 2014er Rotenberg (31,50 €) zeigt herrlich tiefe Mineralität, man verspürt Aprikose und leichtes Petrol, der Wein balanciert auf einer schmalen Zitruslinie bei leichter Restsüße. Mein Favorit ist der 2014er Schoffweg (35 €), der in der Nase wie Pinot noir duftet: Rote und weiße Johannisbeeren geben sich die Klinke in die Hand, dann kommt Grapefruit; der Wein ist kalkig mit leichten Noten von Wachs und Nuss, ja er ist gedrungen und absolut trocken – keine Selbstverständlichkeit im Elsass... Der 2014er Grasberg (35 €) offenbart herrliches Petrol, Aprikose, ganz leichte Grapefruit, offenbart sich sehr rein mit leichtem Restzucker und zartbitterer Mineralik. Auch der 2013er Burg (35 €) – Deiss spielt auf der ganzen Jahrgangsklaviatur – ist sehr rein, dazu sehr frisch, zeigt viel Grapefruit und Aprikose, dabei etwas Restzucker. Ebenfalls zu meinen Topwerten gehört der 2013er Gruenspiel (31 €), er duftet nach Wachs, ist sehr fein, ja vornehm zurückhaltend, kräutrig, zeigt viel Potential an, ist dabei fast trocken. Schön gereift, da herrlich petrolig-kräutrig, ist der 2012er Huebuhl (31 €), offenbart gelbe Pflaume mit Zimt sowie kandierte Aprikose, hat deutliche Restsüße, ist aber überaus nachverlangend.

 

 

Dann kamen die drei Grands Crus: Primus inter pares ist der 2015er Mambourg (70 €), zeigt kandierte Orange, Nuss, Brioche, ist frisch und rein, fast trocken, mineralisch, nachverlangend, ja wie ein großer Burgunder. Drei Jahrgänge gab es vom Altenberg de Bergheim zu verkosten (je 59 €): Der 2011er zeigt tolles Petrol, etwas Restzucker, majestätisch wie großer Moselwein. Mein Liebling ist der mit weniger Restzucker ausgestattete 2012er, der sehr fein, ja sehr rein daherkommt, Aromen von Sommerwiese versprüht, tolle Kräuter sind das – der Wein ruht in sich. Der 2013er ist ebenfalls sehr rein, ätherisch, mit etwas weniger Körper. Der 2014er Schoenenbourg (65 €) ist sehr mineralisch, sehr rein, immer noch sehr jung.

 

 

Bevor wir zu den edelsüßen Kreszenzen kommen, ein kleiner Exkurs zu der Himmelfahrtswanderung, die von Deiss Senior persönlich durchgeführt wurde. Bewundernswert war, wie er sich in das Thema Terroir regelrecht hineinsteigerte: Dazu gehört für ihn Dichtbepflanzung, gemischter Satz – die Rebsorte tritt in den Hintergrund und überlässt dem Boden seinen Platz – sowie nachhaltige Bewirtschaftung alter Reben. Neu war für mich, dass, wenn zusammen gepflanzt, die 60 (!) elsässer Rebsorten ohne Reifeverlust in einem Lesegang zusammen geerntet werden können. Dann blies Deiss zum Angriff auf seine Kollegen, die nur dünne Weine für die Masse produzierten. Er verglich dies mit einem heutzutage industriell hergestellten Baguette, von dem kaum eine Person satt wird; dahingegen sei ein handwerklich hergestelltes Bauernbrot mit einem gut gereiften Stück Comté die Mahlzeit einer ganzen Familie (c'est tout un repas). Ebenfalls interessant fand ich die Feststellung, dass das gesamte Leben einzig von den beiden Faktoren Wachstum (croissance) und Fortpflanzung (reproduction) bestimmt ist. Der Winzer sei daher derjenige, der das wilde Wachstum der Rebe beschränke – ihr die Endlichkeit des Lebens beibringe –, damit die gesamte Energie in die Trauben gehe.

 

 

Doch nun zu den edelsüßen Weinen: Zuerst die zwei Vendanges tardives: Der 2009er Riesling (37 €) zeigt toll entwickeltes Petrol, gepaart mit einer faszinierenden Zitrusleichtigkeit. Der 2015er Gewurztraminer (43 €) wirft mit Rosenaromen nur so um sich, ja ist von äußerster Reinheit. Zum Schluss zwei Sélections de grains nobles: Der 2005er Pinot gris (92 €) hat eine tiefe Farbe, zeigt Aromen von fermentierter Aprikose, Ananas, Pfirsich, tolle Kräuternoten. Der 2008er Gewurztraminer (37 € für 0,5 l) hat eine sehr tiefe Nase, Rose und kandierte Frucht dominieren. Die edelsüßen Weine aus dem Elsass haben jede Menge Klasse – doch machen wir uns nichts vor: Wir Deutschen sind in dieser Hinsicht etwas verwöhnt...

 

 

Nicht zum Verkauf standen drei gereifte Weine aus dem Jahr 2009 – jetzt gerade zehn Jahre alt: Der Schoffweg hatte einen herrlich animalischen Einschlag, zeigte leichtes Petrol, tolle Kräutrigkeit, war dabei trotzdem sehr frisch – was für eine wunderschöne Reife, ein Ende nicht in Sicht... Wie ein großer Riesling gereift war der Grasberg, Noten von Banane, Pfirsich und Orangeat mischen sich mit herrlicher Mineralität. Der Altenberg ist immer noch blutjung, gibt sich zart-tänzerisch mit Noten von Zitroneneis, strahlt tiefe Reinheit aus bei ein wenig Restzucker.

 

 

Der Einstieg bei Deiss ist durchaus höherpreisig, doch wie er auf diesem leicht erhöhten Niveau die Lagen herausarbeitet, ist schlichtweg grandios – kein Wein ist wie der andere, jeder hat seine Persönlichkeit. Bei Deiss ist – das kann man ohne Umschweife feststellen – der Begriff des Terroirs zu Ende gedacht!